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Gesundheits-Apps: Angebot, Nachfrage, Bedarf?

Geschrieben von ursula.kramer am Freitag, 3. Februar 2017 - 16:07

Unstrittig: Das Angebot an Applikationen verspricht für fast alle Lebenslagen Hilfe und ist riesig (1). Auch wer in Sachen Gesundheit Unterstützung in den App-Stores sucht, kann auf eine Vielzahl von Apps zugreifen. Doch so bunt und riesig die smarte, globale App-Welt auf den ersten Blick scheint - für Nutzer ist es mühsam, ihr hilfreiche Apps zu entlocken. Die Stichwortsuche als einziges Werkzeug, das die App-Stores bieten, liefert ein buntes Allerlei von Apps in verschiedenen Sprachen, für verschiedene Nutzerzielgruppen (Verbraucher, Patienten, Ärzte, Pflegekräfte) und leider auch mit sehr vielen Fehltreffern. Viele der angezeigten Apps haben nichts mit dem vermeintlichen Suchbegriff zu tun. Ein Beispiel: Wer nach "Krebs" oder "Krebs-Apps" sucht, bekommt unzählige Horoskop-Apps angezeigt, weil es das Tierkreiszeichen „Krebs“ gibt.

Am Ende einer mühsamen Suche bleiben nur wenige Gesundheits-Apps übrig, die hilfreich sein könnten. Ob eine App hält, was Bildschirmansichten und Beschreibung versprechen, weiß der Nutzer erst, wenn er die App auf sein Smartphone herunterlädt und öffnet:

  • Kann die App wirklich kostenlos genutzt werden?
  • Ist die App tatsächlich in deutscher Sprache verfasst, oder wurde nur die-Beschreibung übersetzt?
  • Bietet die App die erwartete Hilfe in Form von Tagebuch, Termin- oder Medikamentenerinnerung, Datenverwaltung, Datenaustausch über Schnittstellen mit Messgeräten, Wearables oder anderen Apps etc.?
  • Ist die App so aufgebaut, dass sie sich einfach bedienen lässt?
  • Fordert die App spezielle Berechtigungen und wenn ja welche?

Bremst Intransparenz die Nutzernachfrage?

Ist die mühsame Suche ein Grund dafür, dass Gesundheits-Apps zurückhaltend nachgefragt werden? Das Angebot in Anwendungsgebieten, die aus Public Health Sicht relevant sind (s. Infographik), ist übersichtlich, die Nachfrage – gemessen an der Anzahl der Downloads – bescheiden. Könnten mehr Menschen von "guten" Apps profitieren, wenn sie wüssten, wo und wie sie diese einfach finden könnten, z. B. auf einer unabhängigen Empfehlungsplattform für Gesundheits-Apps?

  • Acht Empfehlungen, die Verbraucher und Patienten an die sichere, selbstbestimmte Nutzung von Gesundheits-Apps heranführen und Therapeuten helfen, qualitätsgesicherte, sichere Gesundheits-Apps zu empfehlen für die Unterstützung der Selbstbefähigung von Patienten in Prävention und Krankheitsbewältigung.

Empfehlung 1: Alle Angaben, die das Auffinden relevanter Gesundheits-Apps erleichtern, sollten zur Orientierung für Verbraucher und Patienten in einer App-Empfehlungsplattform für jede Gesundheits-App ausgewiesen werden (vgl. Filter: Anwendungsgebiete, Unterstützungsmethoden). Als relevant werden in diesem Kontext Apps eingeschätzt, die in der Sprache des Nutzers und im gesuchten Anwendungsgebiet verfügbar sind, die ungehindert zugänglich sind (kostenlos, nicht zugangsbeschränkt) und die aus Nutzersicht so interessant sind, dass sie in einem definierten Zeitraum ein Mindestmaß an Nutzerbeliebtheit erreicht haben. Aus Sicht von Verbrauchern und Patienten sollten gerade diese in einer App-Empfehlungs-Plattform für Verbraucher und Patienten gelistet sein.

Orientierungshilfen: Was bieten Stores?

Die Profildaten, die die Stores für jede App ausweisen, geben erste Hinweise auf die Beliebtheit einer App bei anderen Nutzern:

  • Anzahl der Nutzerbewertungen: Wie häufig wurde die App von anderen bewertet, wie gut fällt das Urteil auf einer Skala von 1 bis max. 5 Sternen aus?
  • Kommentare: Was schreiben andere Nutzer in den Kommentaren über ihre Erfahrungen mit der App?
  • Downloads: Wie oft wurde die App bereits heruntergeladen? Bisher weist lediglich Google Play die Downloads sichtbar für jeden Nutzer aus, Apple iTunes stellt diese Daten nur dem Entwickler zur Verfügung.

Je mehr Bewertungen vorliegen, umso verlässlicher das Stimmungsbild, denn Tausend und mehr Bewertungen lassen sich nur schwer manipulieren, einige wenige schon. Auch sehr viele Downloads sind ein Anzeichen dafür, dass die App bei ihren Nutzern "ankommt", d. h. nachgefragt wird. Lediglich jede Zehnte Gesundheits-App erreicht mehr als 50.000 Downloads (Gesundheits-Apps-Dilemma).

Über die tatsächliche Nutzung gibt die Anzahl der Downloads alleine keinen Aufschluss. Wie häufig ein Nutzer die App im Alltag öffnet, die App z. B. als Tagebuch nutzt, lässt sich letztlich nur über Nutzerbefragungen ermitteln (2) oder über sog. Trackingprogramme analysieren (z. B. Google Analytics, Flurry Analytics), die das Nutzungsverhalten aufzeichnen und auswerten. Gemäß diesen Analysen liegt die 30-Tage Retentionsrate von Gesundheits-Apps bei etwa. 50 Prozent (2), d. h. die Hälfte der Gesundheits-Apps wird nach 30 Tagen noch genutzt.

Empfehlung 2: Alle Angaben, die Rückschlüsse auf die Nutzerbeliebtheit von Gesundheits-Apps erlauben, sollten in einer App-Empfehlungs-Plattform zur Orientierung für Verbraucher und Patienten für jede Gesundheits-App ausgewiesen werden (vgl. HealthOn, Top-App "Filter Nutzerbeliebtheit").

Orientierungshilfen: Welche Basisangaben vom App-Anbieter brauchen die Nutzer?

Neben Anwenderfreundlichkeit und Gesamteindruck einer App sind für viele Nutzer gerade bei Gesundheits-Apps darüber hinaus weitere Faktoren wichtig: Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit. Vielen Fragen in diesem Kontext können sich Nutzer sehr pragmatisch selbst nähern, in dem sie prüfen, welche Angaben der Anbieter macht, um den App-Nutzern Antworten auf folgende Fragen zu geben:

  • Sind die Gesundheitsinformationen korrekt: Wer hat sie verfasst, ein Arzt (Autor)? Wo stammen sie her (Quellen)? Aus Studien, aus Leitlinien, aus Empfehlungen medizinischer Fachgesellschaften?
  • Sind Gesundheits-Tipps und Empfehlungen unabhängig von Produkt- oder Firmeninteressen: Wer finanziert die App und warum (Finanzierungshinweis)? Fördert die App den Abverkauf von Arzneimitteln oder Messgeräten? Finanziert sich die App durch Werbung (Erklärung zur Webepolitik)?
  • Wo landen persönliche Gesundheitsdaten, die z. B. mit dem elektronischen Tagebuch verwaltet werden (Datenschutzerklärung), wie werden sie gespeichert, versendet, mit Dritten geteilt?
  • Gibt sich der Anbieter zu erkennen (Impressum), so dass der Nutzer bei Verletzung z. B. seiner Datenschutzrechte oder bei Fehlinformation oder Falschberechnung einer App Haftungsansprüche geltend machen und einen Ansprechpartner (Kontakt) kontaktieren kann?

Empfehlung 3: Alle Angaben, die Rückschlüsse auf die Sicherheit und Transparenz von Gesundheits-Apps erlauben, sollten in einer App-Empfehlungs-Plattform für jede Gesundheits-Apps ausgewiesen werden (vgl. HealthOn Ehrenkodex), sind sie vollständig, was fehlt?

Empfehlung 4: Patienten und Verbraucher sollten dabei unterstützt werden, das Risiko selbst abzuschätzen, das für sie von der Nutzung einer Gesundheits-App ausgehen kann (s. Checkliste Gesundheits-App), so dass sie lernen können, Gesundheits-Apps selbstbestimmt auszuwählen und verantwortlich zu nutzen (Health-App-Literacy!).

Orientierung. Was brauchen Ärzte, um eine Gesundheits-App empfehlen und zukünftig verordnen zu können?

Dass eine App einfach bedient werden kann, dass der Nutzer mit der App zurechtkommt und dass eine Gesundheits-App sicher und vertrauenswürdig ist (s. o.), dürfte aus Sicht des Arztes zu den absoluten Mindestanforderungen für eine App-Empfehlung zählen. Darüber hinaus sind gesicherte, wissenschaftliche Fakten zur Evidenz erforderlich:

  • Gibt es Nachweise, dass Gesundheits-Apps die Früherkennung, die Prävention oder die Behandlung von Krankheiten verbessern können, d. h. gibt es einen gesicherten, objektiven Bedarf (4) für Gesundheits-Apps und wenn ja für welche Krankheitsbilder bzw. für die Früherkennung oder Vorbeugung welcher Krankheiten?
  • Gibt es Studien zur Wirksamkeit der App? Gibt es Hinweise zum Nutzen und den Risiken der App und dem resultierenden Netto-Nutzen (4)?
  • Gibt es auf dieser Grundlage App-Empfehlungen von Fachgesellschaften oder Selbsthilfegruppen?

Bisher gibt es wenige Antworten auf diese Fragen. Die Versorgungsforschung arbeitet an Methoden zum wissenschaftlichen Nachweis des sog. Netto-Nutzens von Gesundheits-Apps (5,6). Die Dynamik der technischen Marktentwicklung und der Innovationsdruck, der auf App-Anbieter lastet, stellen besondere Herausforderungen dar bei der Entwicklung geeigneter Evaluationsprozesse und -instrumente zum Nutzennachweis.

Empfehlung 5: Informationen, ob und wenn ja, welche wissenschaftlichen Belege zum methodischen Ansatz, den die App nutzt oder aus Studien mit der App vorliegen, sollte als Entscheidungshilfe für Therapeuten zukünftig in einer App-Empfehlungs-Plattform für jede Gesundheits-App ausgewiesen werden, alternativ ein Hinweis auf Fehlen dieser Belege.

Orientierung: Was bieten die Behörden?

Einige wenige Gesundheits-Apps werden bisher von ihren Anbietern zur Diagnose oder Therapie einer Krankheit in Verkehr gebracht (7), in diesem Fall durchlaufen sie ein sogenanntes EU Konformitätsverfahren und sind als CE-gekennzeichnete Produkte im Markt (§3 MPG). Häufiger geben Gesundheits-Apps vor, dass sie die Diagnose oder Therapie von Krankheiten unterstützen und sichern sich durch einen Haftungsausschluss ab – diese App ist kein Medizinprodukt. Nach geltendem Recht ist dies unzulässig, weil Verbraucher und Patienten diesen Hinweis überlesen und die App fälschlich nutzen könnten.

Empfehlung 6: Eine App-Empfehlungs-Plattform sollte in einem Online-Verzeichnis alle CE-gekennzeichneten Gesundheits-Apps listen und auf diese Weise die Transparenz über den Zulassungsstatus von Gesundheits- und Medizin-Apps insbesondere für Therapeuten verbessern.

In einem Code of Conduct on Privacy of Mobile Medical Applications hat die Europäische Kommission beschrieben, in welchen Fällen Gesundheits-Apps besonderen Anforderungen an Datenschutz und Sicherheit unterliegen und Maßnahmen definiert, mit denen diese Anforderungen von App-Herstellern praktisch umgesetzt werden sollen, um die Anwender zu schützen (8). App-Entwickler können sich freiwillig zur Einhaltung dieser Regeln verpflichten, sie sollen zukünftig in einem Herstellerverzeichnis gelistet werden.

Empfehlung 7: Eine App-Empfehlungsplattform sollte zur Orientierung für Therapeuten in einem Online-Verzeichnis ausweisen, ob eine Gesundheits-App den Code of Conduct on Privacy of Mobile Medical Applications entspricht.

Das BfArm hat in einer Richtlinie für die Entwickler von Gesundheits-Apps definiert, wann eine Gesundheits-App der Regulierung durch das Medizinproduktegesetz unterliegt (BfArm) (9). Seit kurzem bietet die Behörde über ein neu gegründetes Innovationsbüro auch Beratung an für Health Startups. Zur Planung ihrer Market Access Strategien brauchen sie möglichst früh Klarheit in Sachen Regulierung.

Empfehlung 8: Eine App-Empfehlungs-Plattform sollte den Anbietern von Gesundheits-Apps die Möglichkeit geben, ihre Entwicklungen in einer frühen Phase zu testen, um diese auf die Verbraucher- und Patientenanforderungen im Hinblick auf Nutzen, Qualität und Transparenz auszurichten (s. Online-Test für Entwickler von Gesundheits-Apps).

Quellen

  1. Health-App Dashboard. Anzahl der Apps in den Kategorien Gesundheit und Fitness sowie Medizin, weltweit in Google Play und Apple iTunes.
  2. DiMAPP. Kramer U, Zehner F. Diabetesmanagement mit Apps (DiMAPP). Chancen, Risiken, derzeitige & zukünftige Nutzung, Einstellungen, Erfahrungen und Erwartungen von Betroffenen. Online-Befragung von Diabetikern. Diabetologie und Stoffwechsel 2016; 11 - P118
  3. Flurry Analytics 2016. Enter the Matrix: App Retention and Engagement, May 2016
  4. Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. Gutachten 2000/2001. Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit. Band III - 3. Bedarf, bedarfsgerechte Versorgung, Über-, Unter- und Fehlversorgung. (Link inaktiviert aufgrund von nicht Erreichbarkeit, geprüft 05.10.2022)
  5. Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V. AG Digital Health. Ziele und Aufgaben.
  6. Schrappe M. Versorgungsforschung braucht eine digitale Agenda. Monitor Versorgungsforschung 2016 (2), 52-57
  7. Healthon. Gesundheits-, Medizin-Apps, Apps als Medizinprodukt? Definition & Relevanz.
  8. European Commission. Code of Conduct on privacy for mHealth apps has been finalised. 07.06.2016 (Link inaktiviert aufgrund von nicht Erreichbarkeit, geprüft 05.10.2022)
  9. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArm). Orientierungshilfe Medical Apps. 2015. 
  10. HealthOn. Online Checkliste Gesundheits-Apps für Verbraucher und Patienten zur Ermittlung der Risikoklasse und Überprüfung der Herstellerangaben gemäß Healthon-Ehrenkodex 
  11. ScreeningApp-Screenings, HealthOn: Raucher-Apps, 12/2014Blutdruck-Apps, 05/2015,  Schmerz-Apps, 11/2015,  Multiple Sklerose-Apps, 11/2015, Impf-Apps, 06/2016, Entspannungs-Apps, 06/2016,  Pflege-Apps, 06/2016, Vorsorge-Apps, 09/2016,  Krebs-Apps, 12/2016

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Dr. Ursula Kramer - Die Ap(p)othekerin bloggt auf HealthOn

DiGA-Expertin, Autorin, Beraterin

Die Vision eines gerechten, patientenorientierten Gesundheitssystems treibt die Ap(p)othekerin Dr. Ursula Kramer an. Digitalisierung sieht sie als Möglichkeit, diesem Ziel näher zu kommen. Seit 2011 testet sie Qualität, Sicherheit und Anwenderfreundlichkeit von Gesundheits-Apps, Medizin-Apps und Apps auf Rezept (DiGA). Sie will Transparenz schaffen und digitale Gesundheitskompetenz fördern. Sie teilt die Erfahrung aus der Analyse vieler tausender Gesundheits-Apps in der Beratung von Unternehmen, sie schreibt darüber im Blog auf HealthOn, hält Vorträge und erstellt wissenschaftliche Publikationen. Mehr zur Ap(p)othekerin Dr. Ursula Kramer...