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Adhärenz verbessern mit App: Wunsch & Wirklichkeit

Geschrieben von ursula.kramer am Montag, 22. Mai 2017 - 19:07

Fast jeder vierte Erwachsene nimmt in Deutschland nach eigenen Angaben regelmäßig drei und mehr Medikamente ein (1). All diese Patienten haben seit Oktober 2016 ein Anrecht auf einen schriftlichen Medikationsplan. Auf diesem Wege soll Transparenz und damit Arzneimittelsicherheit und Adhärenz verbessert werden: Wofür ist welches Arzneimittel, wie oft und in welcher Dosierung wird es eingenommen? Welche Arzneimittel nimmt ein Patient?
Dieser sog. Bundeseinheitliche Medikationsplan (BMP) ist Teil des eHealth-Gesetzes und wird vorerst nur als Ausdruck an Patienten ausgehändigt. Bis Januar 2019 will die Gematik soweit sein und ihn auch als Bestandteil der elektronischen Patientenakte in die Telematikinfrastruktur eingebunden haben. die Welt der digitalen Regelversorgung, in der Behandlungs- und damit auch Medikationsdaten sicher ausgetauscht werden, und die Welt des 2. Gesundheitsmarkt, in der heute bereits die Hälfte aller Deutschen Gesundheit-Apps nutzen (2) und mit Fitnessarmbändern, Smartwatches und Messgeräten Daten zu Gesundheit und Wohlbefinden erfassen und aufzeichnen, haben ihre ganz eigenes Tempo. Noch sind es nahezu vollständig getrennte Parallelwelten.

Digitalisierung des Medikationsplans (BMPs) mit App

Der Medikationsplan zeigt am oberen rechten Rand einen QR-Code, den Patienten mit Hilfe einer App einlesen können. So lassen sich die Medikationsdaten über die App in einer Cloud zentral abspeichern und wenn gewünscht, mit Dritten digital teilen. Diese Möglichkeit nutzen Patienten bisher kaum, wie die Downloads der kostenlose App CLICKDOC zeigen.

Verwaltung von Behandlungsdaten mit Apps

Mit Hilfe von Apps, die Funktionen einer elektronischen Gesundheitsakte bieten, ist es bereits heute möglich, Befunde, Behandlungsdaten, Röntgenbilder etc. zentral abzulegen. Genutzt wird diese Möglichkeit noch sehr zurückhaltend. Die insgesamt 20.000 Downloads der fünf digitalen Patientenakten sprechen eine klare Sprache. Die praktischen Hürden sind offensichtlich hoch, der Austausch der Daten - z. B. mit Ärzten schwierig. Denn welcher Arzt ist bereit, sensible Behandlungsdaten seiner Patienten über Apps oder zentrale Plattformen unbekannter Anbieter hochzuladen oder von dort herunterzuladen? Organisatorisch kaum leistbar und auch aufgrund offener Haftungs- und Honorierungsfragen kaum zumutbar.

Steuerung der Medikamenteneinnahme mit Apps

Es gibt deutlich mehr Apps, die an die Einnahme von Medikamenten erinnern, und sie werden auch häufiger genutzt, als die Apps zur Verwaltung von Gesundheitsdaten.
Sowohl Pharmaunternehmen (z. B. care4today, MedPlaner), Verlage (z. B. Apotheke vor Ort) als auch Startups (z. B. MyTherapy) bieten kostenlose Lösungen und interessieren sich im Gegenzug für die Medikationsdaten der Nutzer. Doch trotz Werbedruck hat keine dieser Apps bisher mehr als 1 Million Downloads erreicht (Stand Mai 2017, GooglePlay).
Nicht nur die Nutzung dieser Apps bleibt hinter dem Potential zurück - mehr als 15 Millionen Menschen in Deutschland sind auf drei und mehr Arzneimittel angewiesen (1,3)- sondern auch der Nachweis des Nutzens dieser Apps für eine verbesserte Adhärenz bleibt wissenschaftlich nachzuweisen (4). Was klar scheint: Eine einfache Erinnerung alleine ist offensichtlich nicht die Lösung schlechter Adhärenz, denn das simple Vergessen der Arzneimitteleinnahme ist nicht die eigentliche Wurzel des Problems. Die Akzeptanz für eine Therapie fußt auch im Wissen um Arzneimittelwirkung und Nebenwirkungen (Gesundheitskompetenz) und auch in der aktiven Einbeziehung von Patienten in die Festlegung individueller Therapieziele (Partizipation). Dazu kommen dann, im Falle einer jeden App, auch Aspekte der Usability und User Experience (5) hinzu. Denn nur eine App, die von der Nutzerzielgruppe verstanden wird und gefällt, wird dauerhaft genutzt - und das ist die grundlegende Voraussetzung dafür, dass eine Gesundheits-Apps den erhofften Nutzen vermitteln kann.

Digital Health Literacy stärken, um eHealth Potential zu nutzen

Medikations-App mit den erforderlichen, komplexeren Unterstützungsansätzen (6) zur Förderung der Therapieadhärenz gibt es. Was fehlt, ist die Möglichkeit zum geregelten, sicheren Abgleich von Daten, die der Patient generiert - z. B. zur Einnahme seiner Medikamente - und von Daten, die der Arzt therapiebegleitend erhebt. Das Potential von Medikations-Apps als sinnvolle Bausteine in der Therapieführung kann sich deshalb erst entfalten,

  • wenn die Anbindung an die Kommunikationsstrukturen der Regelversorgung gebahnt sind, d. h. wenn App-Welt und Telematikinfrastruktur zusammenwachsen.
  • wenn eine relevante Anzahl von Patienten und Therapeuten gelernt haben, mit diesen Apps umzugehen, die Daten daraus zu nutzen und daraus einen Nutzen abzuleiten für die bessere Erreichung individueller Therapieziele.

Fazit: Die Förderung der Gesundheits- und Medienkompetenz ist eine Grundvoraussetzung, dass z. B. wirksame Medikation-Apps, die Arzneimittelsicherheit und Therapieadhärenz verbessern können, von Patienten und Therapeuten genutzt werden können. Um das große Potential von Digital Health (7) zum Wohle von Patient und Gesellschaft zu heben, müssen alle Akteuren im Gesundheitswesen gemeinsam daran arbeiten, eine sichere Brücke zu bauen zwischen der Welt des Patienten und der von ihm erfassten Gesundheitsdaten und der Welt der Therapeuten, die diese Daten einbeziehen können in (bessere?) Therapieentscheidungen.

Quellen

  1. Forsa Umfrage ABDA 2015. Viele Menschen nehmen über drei Pillen zugleich.
  2. Fast jeder Zweite nutzt Gesundheitsapps. 5.5.2017. Bitkom Research (Link inaktiviert aufgrund von nicht Erreichbarkeit, geprüft 06.10.2022)
  3. Destatis 2014. Alterspyramide in Deutschland. Menschen über 20 Jahre: 66,4 Millionen.
  4. Choudhry NK, Krumme AA, Ercole PM, Girdish C, Tong AY, Khan NF, Brennan TA, Matlin OS, Shrank WH, Franklin JM. Effect of Reminder Devices on Medication AdherenceThe REMIND Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med. 2017;177(5):624-631. doi:10.1001/jamainternmed.2016.9627
  5. Santo K et al. (2017). Mobile Phone Apps to Improve Medication Adherence: A Systematic Stepwise Process to Identify High-Quality Apps. JMIR Mhealth Uhealth. 2016 Dec 2;4(4):e132.
  6. Adhärenz 2020: Companions-Apps, Digital Coaches, Health-Bots. März 2017.
  7. Effizienzpotentiale durch eHealth: PwC-Studie im Auftrag von CompuGroup Medical und bvitg e. V. 4/2017 (Link inaktiviert aufgrund von nicht Erreichbarkeit, geprüft 06.10.2022)
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HealthOn - Experten in Sachen Digital Health

Dr. Ursula Kramer - Die Ap(p)othekerin bloggt auf HealthOn

DiGA-Expertin, Autorin, Beraterin

Die Vision eines gerechten, patientenorientierten Gesundheitssystems treibt die Ap(p)othekerin Dr. Ursula Kramer an. Digitalisierung sieht sie als Möglichkeit, diesem Ziel näher zu kommen. Seit 2011 testet sie Qualität, Sicherheit und Anwenderfreundlichkeit von Gesundheits-Apps, Medizin-Apps und Apps auf Rezept (DiGA). Sie will Transparenz schaffen und digitale Gesundheitskompetenz fördern. Sie teilt die Erfahrung aus der Analyse vieler tausender Gesundheits-Apps in der Beratung von Unternehmen, sie schreibt darüber im Blog auf HealthOn, hält Vorträge und erstellt wissenschaftliche Publikationen. Mehr zur Ap(p)othekerin Dr. Ursula Kramer...