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DiGA 2.0 - Kinderkrankheiten überwinden

Geschrieben von ursula.kramer am Dienstag, 16. April 2024 - 13:51
DiGA 2.0 - Kinderkrankheiten überwinden

DiGA-Kurskorrekturen im neuen Digitalgesetz

Mehr Akzeptanz bei Therapeuten und mehr Relevanz im Versorgungsprozess, das sind die Ziele, die mit den jüngsten Änderungen im Digitalgesetz (DigiG) erreicht werden sollen (1). Und ja, es ist Zeit für Veränderung. Denn auch mehr als drei Jahre nach Start der "Apps auf Rezept" in Deutschland, nutzt nur ein Bruchteil der Anspruchsberechtigten diese neue Chance der digitalen Therapien (2). Beim Start des weltweit ersten Market Access Pfads zur Erstattung digitaler Gesundheitsanwendungen – dem deutschen DiGA-Fast Track - waren die Erwartungen groß. Hätte man 2020 prognostiziert, dass Anfang 2024 weniger als 60 digitale Anwendungen den Weg ist DiGA-Verzeichnis geschafft haben (3), hätte sich die Goldgräberstimmung sicher merklich eingetrübt. 

Holt die Therapeuten ins DiGA-Boot!

Es muss sich was tun, damit DiGAs ihren Platz in die Versorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen erobern können. Kurskorrekturen am DiGA-Konzept sollen jetzt digitale Therapien besser als gemeinsames Arbeitsmittel in der Therapiepartnerschaft von Arzt und Patient verankern. DiGA sollen als Therapiebausteine attraktiver werden, eine größere Rolle spielen im Versorgungsalltag. Nicht nur die Anwender, sondern auch die Therapeuten sollen erleben können, dass DiGAs Wirkung zeigen, dass sie sich positiv auf den Alltag der Betroffenen und auf die medizinische Versorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen auswirken. Drei wesentliche Änderungen im DiGA-Konzept zielen genau darauf ab:

  1. Endlich können auch Telemonitoring-Elemente im DiGA-Konzept integriert werden. Das heißt konkret, dass durch den Einsatz von DiGAs dann auch mehr Daten aus der Lebenswirklichkeit von Patienten erfasst, genutzt und in der Therapieplanung einbezogen werden können. Der Fokus bleibt auch im DiGA 2.0 Konzept weiterhin auf der Nutzung der digitalen Anwendung durch den Patienten. Eine digitale Anwendung, die nur Werten aus Sensoren ausliest oder lediglich Daten aus dem häuslichen Umfeld der Patienten an einen Leistungserbringer übermittelt, wird weiterhin keine DiGA sein. Die Daten des Patienten, die aus Online-Fragebögen oder mit Sensoren aus Wearables oder medizinischen Messgeräten erfasst werden, sollen verständlich und einfach an den Patienten und auch an den Behandler zurückgespielt werden, um besser zu verstehen, was im Moment gut oder schlecht läuft. Mit individualisierten Tipps und Handlungsempfehlungen unterstützt die DiGA den Patienten direkt und zusätzlich profitiert er von den vertragsärztliche Leistungen, die der Behandler erbringen kann, der über die neue Telemonitoring-Brücke mit ins „DiGA-Boot“ kommt.
  2. Auch Medizinprodukte der höheren Risikoklasse IIb können jetzt DiGA werden. Das soll den Weg frei machen für digitale Anwendungen, die mehr leisten und so größeren, medizinischen Nutzen entwickeln können. Auch in den etablierten Disease-Management Programmen (DMP) sollen digitale Bausteine zukünftig eine größerer Rolle spielen, beginnend mit Anwendungen für Menschen mit Diabetes.
    Für DiGAs mit höherer Risikoklasse IIb gibt es allerdings keine vorläufige Listung und keinen Erprobungszeitraum, mit Aufnahmen ins DiGA-Verzeichnis ist der Nutzennachweis zu erbringen, und es muss zwingend ein medizinischer Nutzen sein, patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserungen reichen nicht aus.
  3. Ab 1.1.2026 soll eine anwendungsbegleitende Erfolgsmessung für alle DiGAs verpflichtend werden. Warum? Krankenkassen ist es schon lange ein Dorn im Auge, dass sie App erstatten müssen, auch wenn Patienten diese schon nach kurzer Zeit nicht mehr nutzen. Mit den Daten aus der zukünftigen Erfolgsmessung will man verstehen, wie häufig und wie lange eine DiGA genutzt wird und wie die selbst Nutzer die Wirkung einer DiGA einschätzen. Diese Parameter sollen dann zukünftig die Festlegung eines erfolgsabhängigen Vergütungsbestandteils erlauben. Details regelt eine Rechtsverordnung, die noch entwickelt wird.

Auch organisatorische Hürden auf dem Weg zum Freischalt-Code sollen zukünftig weggeräumt werden:

  1. Ein stärkeres Augenmerk wird daher auf den Abgabeprozess gelegt, Krankenkassen werden verpflichtet, den Freischalt-Code innerhalb von 2 Arbeitstagen nach der Verordnung abzugeben. 
  2. Das e-Rezept soll ab 1.1.2025 auch für die Verordnung von DiGAs genutzt werden können. Bis dahin gibt es eine digitale Therapie ausschließlich auf dem rosafarbenen Papierrezept! 

DiGA – Status Quo 2024 

  • Gelistete DiGAs: 62; dauerhaft gelistet: 31; vorläufig gelistet: 25; gestrichen: 6 (Februar 2024)
  • Anzahl der DiGA-Verordnungen in 2023: 235.000 (Gesamtzahl der Verordnungen seit 10/2020: 375.000)
  • Gesundheitsausgaben für DiGA in 2023: 68 Mio. € (Zum Vergleich: Arzneimittelausgaben in 2023: 49 Mrd €.; d. h.  0,13%)
  • Freischalt-Code Einlösungen: 94%
  • DiGA-Nutzung über die gesamte Verordnungsdauer: 53%
  • Abbruchquote: 38%, davon 15%  innerhalb der ersten 4 Wochen
  • DiGA-Nutzung über die Verordnungsdauer hinaus: 9%
  • Durchschnittlicher Erstattungspreis (für 90 Tage): Dauerhaft gelistete DiGAs: 284 €, vorläufig gelistete DiGA: 603 € (2)
  • Preis der teuersten DiGA: 2077 € (levidex, für MS-Patienten)

Barmer DiGA-Report 2024 (2)

DiGA-Fast Track - mutig & lernend digitale Therapien auf den Weg bringen

Rückblickend ist und war der DiGA-Fast Track ein wichtiger Schritt, um digitalen Therapien den Platz in die Regelversorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen zu bahnen (4). Gesundheitsmärkte sind stark reguliert, Innovationen haben es schwer, Investoren brauchen einen langen Atem und "tiefe Taschen". Mit dem DiGA-Fast-Track wurde ein Art Innovations-Turbo geschaffen, am Gemeinsamen Bundesausschuss G-BA vorbei. Das hat Fahrt in die Zulassung gebracht, die Risiken für DiGA-Hersteller abgemildert und Deutschlands Gesundheitsmarkt auch für internationale Kapitalgeber interessant gemacht. Und weil das so gut funktioniert hat, haben europäische Nachbarn, inspiriert von den Erfahrungen mit dem deutschen DiGA-Fast Track, eigene Marktzugangswege für digitale Therapien entwickelt (5). All das ist sehr beachtlich, zählt Deutschlands Gesundheitswesen in Sachen Digitalisierung bislang doch eher zu den europäischen Schlusslichtern, hat man hierzulande die Einführung der elektronischen Patientenakte ePA und auch das e-Rezepte doch ziemlich verschlafen (7). 

So funktioniert das DiGA-Konzept

Die digitalen Anwendungen können vom Arzt auf Rezept verordnet oder direkt bei der Krankenkasse als Freischalt-Code angefordert werden. Sie bieten Menschen mit chronischen Erkrankungen digitale Hilfe zur Selbstbefähigung, klären über Krankheiten auf, leiten zu Eigenübungen an und motivieren zu Verhaltensänderungen. Auf diesem Weg sollen sie Symptome von Menschen mit chronischen Erkrankungen lindern und deren Lebensqualität verbessern. Sie ergänzen klassische Therapieansätze oder überbrücken im Fall von langen Wartezeiten z. B. auch die Zeit bis zu einer Therapie mit einem Psychotherapeuten.

Den DiGA-Weg verstehen

Ein Start mit Augenmaß, Netz und doppeltem Boden

Mit dem DiGA-Fast-Track wurde ein Weg eingeschlagen, sich lernend einem Evaluations- und Listungsprozess für neue, digitale Therapien zu nähern, diesen Prozess schrittweise anzupassen, um aus Erfahrungen zu lernen und Zeit zu gewinnen. Denn: Der globale Markt der digitalen Gesundheitsanwendungen ist kompetitiv, Deutschland kann und will es sich nicht leisten, auf eine 100 Prozent-Lösung zu warten. Der DiGA-Fast Track zeigt: Der Weg entsteht im Gehen und kann iterativ auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse adaptiert werden, wie jüngst mit den Änderungen des Digitalgesetz DigiG (1).

DiGA-Kinderkrankheiten heilen... 

Was als Starthilfe gedacht war, das Konzept der „Stand-alone DiGA“ und die Möglichkeit zur „Evidenz-to go“ hat immer wieder „Bremsklotz-Effekte“ gezeigt, die die Entwicklung dieses jungen Marktes behindern und erklären, warum noch so wenige Patienten von digitalen Therapie wissen und davon profitieren können:

  • Verordner fühlen sich zu wenig eingebunden und informiert, sie zeigen sich zurückhaltend mit der Verordnung von DiGAs (2).
  • Die DiGA-Adhärenz der Nutzer bleibt unter den Möglichkeiten, auch wenn digitale Therapien in Sachen Adhärenz ähnlich gut abschneiden, wie Arzneimittel zur Behandlung chronischer Erkrankungen (8). Digitale Therapien zeigen in hybriden Ansätzen bessere Wirkung, also müssen wir die Behandler mit ins DiGA-Boot holen.
  • Die Erstattung vorläufig gelisteter DiGAs war und ist Kostenträgern ein Dorn im Auge, selbst bei dauerhaft gelisteten DiGAs wird die vom BfArM anerkannte Evidenz angezweifelt. Die Studien werden in der Regel vom Hersteller mono-zentrisch und unverblindet durchgeführt, was zu Verzerrung führt (9). Man wünscht sich zusätzliche, belastbare Daten, wie DiGAs tatsächlich genutzt und deren therapeutische Effekte von den Anwendern eingeschätzt werden. Und diese Daten sollen perspektivisch mit der sog. begleitenden Erfolgsmessung gewonnen und ab 2026 auch in die Preisfindung einer DiGA einfließen. 

DiGAs als Bausteine in Versorgungspfaden integrieren

Fazit: Digitale Anwendungen erobern langsamer als ursprünglich von Innovatoren erhofft, die Versorgungslandschaft in Deutschland. Die neuerlichen Anpassungen im Digitalgesetz sind darauf ausgerichtet, DiGAs bessere als Bausteine in Versorgungspfaden zu integrieren, was dazu beitragen soll, Akzeptanz und Nutzung digitaler Therapien zu steigern.
Auch im modifizierten DiGA 2.0 Konzepte bleibt der Fokus auf dem Nutzen für den Patienten. Mit der Möglichkeit, Remote-Monitoring einbeziehen zu können, rücken die DiGA als Therapieunterstützung stärker an die Therapeuten heran. Mit den Daten aus dem Remote-Monitoring können sie gemeinsam mit ihren Patienten Therapieentscheidungen auf einer besseren Basis treffen, und Patienten, die selbst besser verstehen, wo es in der Behandlung hakt, können aktiver mitwirken. 
Die ab 2026 verpflichtenden Begleitevaluation von DiGAs wird mehr Klarheit bringen im Hinblick auf den patientenorientierten Nutzen und die Erfolgsfaktoren für eine gute DiGA-Adhärenz. Perspektivisch werden wir so auch der Frage nach dem fairen Preis einer DiGA näher kommen.

Quellen:

  1. BfArM: Häufig gestellte Fragen (FAQ): Änderungen durch das DigiG
  2. BARMER DiGA-Report 2024
  3. DiGA-Dashboard HealthOn, Stand 23.02.2024
  4. DiGA-Fast Track – Blueprint für Digitalturbo in Europa?
  5. European Digital Medical Device Task Force (DMD): G_NIUS 
  6. Digitale Gesundheit in Europa 
  7. Digitale-Versorgung Gesetz (DVG) 
  8. Verbessserung und Auswirkungen medikamentöser Threapietreue. Dtsch Arztebl Int 2014; 111(4): 41-7; DOI: 10.3238/arztebl.2014.0041 
  9. Gutachten: DiGA fehlt es an Evidenz. Ärzte Zeitung, 19.12.2022. Gutachten der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns „Bewertung von digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA)"
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HealthOn - Experten in Sachen Digital Health

Dr. Ursula Kramer - Die Ap(p)othekerin bloggt auf HealthOn

DiGA-Expertin, Autorin, Beraterin

Die Vision eines gerechten, patientenorientierten Gesundheitssystems treibt die Ap(p)othekerin Dr. Ursula Kramer an. Digitalisierung sieht sie als Möglichkeit, diesem Ziel näher zu kommen. Seit 2011 testet sie Qualität, Sicherheit und Anwenderfreundlichkeit von Gesundheits-Apps, Medizin-Apps und Apps auf Rezept (DiGA). Sie will Transparenz schaffen und digitale Gesundheitskompetenz fördern. Sie teilt die Erfahrung aus der Analyse vieler tausender Gesundheits-Apps in der Beratung von Unternehmen, sie schreibt darüber im Blog auf HealthOn, hält Vorträge und erstellt wissenschaftliche Publikationen. Mehr zur Ap(p)othekerin Dr. Ursula Kramer...